Freitag, 25. August 2017

Alqueva oder Der Umbau der Landwirtschaft.



Der Alentejo war jahrhundertelang eine von semi-arider Landwirtschaft geprägte Gegend, denn die Sommer sind schon lange eine durchgehend trockene Jahreszeit. Es herrscht hier eher afrikanisches Wetter mit einer großen Regenzeit von November bis Januar und einer kleinen Regenzeit im April.

Die alte Kultur hieß "Montado", lichte Steineichenwälter, unter denen Schafe grasen konnten,
und in der Nähe der Dörfer, als es noch das Regime der Allmende (portugiesisch: Báldios) gab, wurden Dinkel und Wein unter den Bäumen gepflanzt, auch Ölbäume standen rings um die Ansiedlungen. Schäfer kamen jedes Jahr mit ihren Herden weither aus dem Norden. Die Hortas, die Gemüsegärtchen für das frische Gemüse, Bohnen und Kohl, lagen außerhalb der Dörfer in feuchteren Senken, oder um Brunnen herum. Um diese kleinen Gärtchen herum waren die einzigen Zäune des Alentejo gezogen, selbstgebastelt aus Röhricht, gegen den Verbiß der Hasen und der Schafe. Die Landschaft sonst war, ob genutzt oder nicht, überall frei zugänglich.

Die erste große Veränderung kam unter Salazar mit der Losung, den Alentejo zur portugiesischen Kornkammer zu machen. In den 30ern und den 50ern wurden auf vielen für die Mechanisierung der Landwirtschaft tauglichen Flächen die Bäume gefällt. Nur die hügeligeren Gebiete zwischen Vila de Frades und Alvito beispielsweise blieben von dieser Entwicklung verschont. Aber auch in diesen Zeiten gab es weit und breit noch keine Zäune! Weizen wechselte mit Sonnenblumen und einer Brache (mit Leguminosen) bis in die achtziger Jahre in einer Dreifelderwirtschaft.

Jetzt ändert sich der Anblick des Alentejo wieder grundsätzlich: Statt Weizenfeldern und Sonnenblumen gibt es immer mehr Bäume - ist doch schön, oder?!

Leider stehen die Bäume preußischer als die Preußen in Reihen und haben keinen Platz mehr, sich zu den knorrigen Individuen zu entwickeln, die wir mit dem Worten Ölbaum und Olivenhain verbinden. Die kleinen Hecken zwischen den Plantagen sind verschwunden, und auch das Unkraut am Wegrand. Es sieht schlimmer aus als die Fichtenplantagen im Taunus.
Bekamen die jungen Bäume vor 10 Jahren in ihren Plantagen noch 5 m Anstand zum nächsten "Kollegen", so stehen die jüngsten Pflänzchen jetzt in 60 cm Abstand!

Was bedeutet das!?

Die neuen Plantagen werden nur noch für 10 Jahre gepflanzt. Die kleinen Bäumchen wachsen zu mechanisch gut pflückbaren Spalier-Hecken zusammen und sollen schon im dritten Jahr statt im siebten gut tragen. Sobald die Hecken zu dicht sind, und die Bäume auch wegen der Beschleunigung ihres Wachstums (mit Wasser und Dünger) ausgelaugt sind, werden sie wieder herausgerissen und durch eine Neupflanzung ersetzt. Diese Art Landwirtschaft ist mehr als hyperintensiv. Man muß davon ausgehen, daß der Boden nach spätestens anderthalb Perioden komplett ausgelaugt sein wird und danach nur noch eine Art Open-Air-Hydrokultur funktionieren wird, bei der sämtliche Nährstoffe zugeführt werden müssen.

Gleichzeitig wird so eine Monokultur immer empfindlicher, es sind ja genetisch identische Bäumchen in jeder Plantage und identische auch beim Nachbarn! Man braucht immer mehr Pflanzenschutz, immer mehr chemische Hilfsmittel, die nicht mit der nötigen Vorsicht (wie beim integrierten Landbau) sondern prophylaktisch, zu oft, in zu großen Mengen und bei falschem Wetter ausgebracht werden.

Schon jetzt verschwinden mit dem Wechsel der Fruchtfolge die vielen Kleinlebewesen, die im Alentejo früher nur so wimmelten, und vor allem spürbar: die Vögel! Selbst die Jäger beschweren sich inzwischen über den Rückgang bejagbaren Federviehs .... Eine solche Landwirtschaft macht sogar aus Olivenpflanzungen ausgestorbene Gegenden, wie man sie sonst nur in Eukalyptusplantagen findet.

Donnerstag, 10. August 2017

Dieser Blogeintrag ist ausnahmsweise nicht dem Alentejo, sondern den Eltern der Spaziergangswissenschaft (Promenadologie) gewidmet: 

Annemarie und Lucius Burckhardt


Ein paar Aquarelle des gebürtigen Schweizers Lucius Burckhardt (1925 - 2003) werden derzeit noch in Kassel auf der dokumenta14 gezeigt. Obwohl Lucius Burckhardt und seine Frau, die Künstlerin Annemarie (geb. Wackernagel, 1930–2012), sowie Bertram Weißhaar nur wenigen Spezialisten aus dem Bereich Landschaftsplanung und Stadtplanung bekannt sein dürften, haben ihre Arbeit, ihre Fragen, Interventionen und Aktionen von der Gesamthochschule Kassel aus eine große Wirkung in unseren Alltag gezeitigt: In Frankfurt beispielsweise ist die offene Gestaltung des BUGA-Geländes und des Grüngürtels, und auch die Ampelschaltung, die es uns seit ein paar Jahren erlaubt, den Anlagering vom Literaturhaus bis zum Nizza durchgehend unter Bäumen und ohne Abstieg in dunkle gekachelte Unterführungen entlanggehen oder -radeln zu können, dem direkten und indirekten Einfluß der Burckhardts zu verdanken!


Wir erheben also jetzt ein gutes Gläschen mit portugiesischem Wein ihnen zu Ehren und halten kurz inne.

Was ist Spaziergangswissenschaft?

Die Spaziergangswissenschaft ist die Hornisse in der tradierten emsigen Architektur und wabenartigen Stadtentwicklung. Lucius Burckhardt und Annemarie haben die Promenadologie mit ihren Studenten in Kassel als Gegenentwurf gegen das gebaute 'Unbewohnbarkeit' der Städte in den 70er, 80er und 90er Jahren entwickelt.

Vielleicht passt zu ihrer Herangehensweise als Schlagwort die Porosität, ein Zauberwort der Stadtbeschreibung, das von Walter Benjamin, einem der beganadeten Stadt-Spaziergänger des 20. Jahrhunderts, verwendet wurde.

Es geht im Gegensatz zur Planung fester Zuordnungen der Nutzung städtischer oder ländlicher Räume um das bewußte Durchlässigkeit, und das Offenlassen für die Nutzer. Es geht um den Wechsel des Blickwinkels. Es geht um die Poesie des Gehens. Es geht um Fragen statt um Antworten.
Was ist Landschaft? Was macht eine Straße lebendig, warum ist eine andere Straße trotz vielen Verkehrs wie tot? Ist Landschaft schön? Warum?

Ausgehend von soziologischen Fragen zu Urbanismus haben die Burckhardts das Gehen zu Fuß ins Zentrum der Erkenntnisgewinnung gestellt und den Menschen, wenn er denn will, wieder aus der dem blechernen Projektil Auto befreit.
Außerdem gehörten sie zu den Leuten, für die ein 'Denken für sich alleine' nicht viel taugt, sie befanden sich immer aktiv im Dialog mit anderen, Studenten, Freunden, großen und kleinen Gruppen. Nachdenken und Erkenntnis war für sie eine gelebte kollektive Tätigkeit, wie es aus einer anderen Weltecke der Literatur-Nobelpreisträger Wole Soyinka als essenziell für seine Produktion beschreibt.

Papoilas á beira do caminho - Mohnblumen am Wegrand

Meine Alentejo-Reisen mit marmello sind freilich auch von der Philosophie der Promenadologen und vom Cloudspotting inspiriert.